Ox-Fanzine - April/May, 2010


The six strings that drew blood

Kein Gitarrist der australischen Post-Punk-Ära spielte den Punk-Blues so existenziell wie Rowland S. Howard. Mit seinen Gitarrenriffs beeinflusste er Legionen von Bands – Howard gilt als Entdecker der DEVASTATIONS (und auch THE HORRORS werden den Australier verinnerlicht haben) – ohne selbst kommerziell erfolgreich gewesen zu sein, aber immer mit einem dunklen ikonenhaften Status versehen, was durchaus auch seiner Gesamterscheinung geschuldet war: ein dürrer distanziert wirkender Mann, stets mit Zigarette im Mundwinkel, der seine stoische Antihaltung nicht wie Nick Cave durch explosive Ausbrüche lebte, sondern durch seine sinistre Mimik und die in sich kauernde Körperhaltung. Im Dezember letzen Jahres verstarb dieser Weggefährte von Nick Cave und Mick Harvey im Alter von nur 50 Jahren an Leberkrebs in Melbourne. Rowland S. Howard war Mitglied bei THE BOYS NEXT DOOR, THE BIRTHDAY PARTY, CRIME & THE CITY SOLUTION und THESE IMMORTAL SOULS und in Projekten unter anderem mit Lydia Lunch, Henry Rollins, Jeremy Gluck, Fad Gadget und Nikki Sudden aktiv. Dass die Zeit für Howard, den stets durch Selbstausgrenzung und Selbstzerstörung Getriebenen, der bei seinem letzten Auftritt im Oktober letzten Jahres in Melbourne Blut spuckte, aber den Auftritt dennoch zu Ende brachte, noch nicht gekommen war, kommentierte wenige Tage nach seinem Tod Mick Harvey: „Sometimes people are ready to go because they have been sick for a long time, but Rowland really wanted to live. Things were going well for him outside of his health and he wanted to take advantage of that and he was very disappointed that he wasn’t well enough to do so.“

Bereits im Alter von 16 Jahren, damals mit seiner Band THE YOUNG CHARLATANS, schrieb Howard mit „Shivers“ den einzigen Song, der später THE BOYS NEXT DOOR, nun gesungen von Nick Cave, der zu diesem Zeitpunkt noch versuchte, wie David Bowie zu klingen, zu einem ersten (und einzigen) kleinen Achtungserfolg in der aufkeimenden australischen Punk-Szene verhalf. Ein Jugendwerk, das er zwar später immer mal wieder in Konzerten spielte, aber dann mit dem Gefühl, wie er sagte, als sei es die Coverversion eines ihm fremden Songs. Vielen erschien dieser Song als eine Art australisches Gegenstück zu dem etwas später veröffentlichten „Love will tear us apart“ von JOY DIVISION. Zum holprigen, aber furiosen Gitarrenfeedback, dessen verzerrtes Klirren später in wesentlich ausdruckstärkerer Form (insbesondere bei CRIME & THE CITY SOLUTION, man denke an den Song „Six bell chime“) zu Howards stilprägenden Markenzeichen wurde, ließ Howard gleich in der ersten Zeile verkünden: „I’ve been contemplating suicide.“ Der Suizid war indes keine ernsthafte Option für ihn. Sein mehr als ein Jahrzehnt lang praktizierter Heroinkonsum aber brachte Howard immer wieder in den Grenzbereich zwischen Leben und Tod und in lange Phasen, in denen er nur wenig produktiv war.

Erst mit den fulminanten THE BIRTHDAY PARTY lebte Howard – neben dem lyrischen und explosiven Frontmann der Band in Gestalt von Nick Cave war Howard mit Mick Harvey das musikalische Rückgrat – seinen Part des Punk-Blues-Desperados voll und glaubwürdig aus. Stets etwas abwesend wirkend, war er nie aus der Ruhe zu bringen, auch dann nicht, als bei einem Konzert in Köln ein „Fan“ Bassist Tracy Pew auf der Bühne seine überschäumende Begeisterung durch simples und nur wenig treffsicheres Anpinkeln kundtat, was Pew ihm mit einem Hieb mit dem Bass dankte, war Howard nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen und hangelte sich gebückt mit seinem hageren Körper weiter an der Gitarre entlang. Bei THE BIRTHDAY PARTY bündelten sich in unvergleichlicher Weise rohe Energie, brachiale Selbstinszenierung, Lärmekstasen und schiere Provokation – rücksichtslos gegenüber sich selbst und dem Publikum. Nick Cave zelebrierte das gezielte Ausbrennen seiner selbst, jeder Song ein Fanal. Den Soundtrack zum gelebten Untergang – in Melbourne, London und zuletzt Berlin – lieferte Rowland S. Howard, allerdings sich tendenziell nach innen ausbrennend. Der rückkoppelungsreiche und schneidende Gitarrensound von Howard, der ungeachtet seines eigenen und unverwechselbaren Stils als junger Mann von THE VELVET UNDERGROUND und THE STOOGES begeistert war, potenzierte die eruptive lyrische Brachialgewalt, die Nick Cave in seinen Vokal-Exerzitien auf der Bühne auslebte. Live-Versionen von Songs wie „Hamlet (Pow, pow, pow)“ und „Big-Jesus-Trash-Can“ geben eine ungefähre Vorstellung dessen, was in den Australiern kompromisslos wütete – dennoch, zur kathartischen Selbstausgrenzung waren alle Mittel recht.

THE BIRTHDAY PARTY veröffentlichten zwei wegweisende Alben, „Prayers On Fire“ (1981) und „Junkyard“ (1982), sowie – neben einigen Singles – die EPs „The Bad Seed“ und „Mutiny“. Letztere wurde in den Hansa Studios in Berlin eingespielt. Doch bereits Ende August 1983 übernahm Blixa Bargeld während der Aufnahmesessions zu „Mutiny“ den Gitarrenpart von Howard. Die Spannungen zwischen Howard und Cave waren zu groß geworden. Seine Vorstellungen, wie es weitergehen sollte, waren nicht mit denen von Nick Cave identisch. Dessen übermächtiges Bild – in der Musikpresse wurden THE BIRTHDAY PARTY zu oft allein auf den Frontmann Cave reduziert – schob sich immer wieder vor das Potenzial von Howard, der mehr eigene Songs schreiben und singen wollte. Howard fand eine neue Heimat bei CRIME & THE CITY SOLUTION, eine Band um den charismatischen Sänger Simon Bonney, der ähnlich wie Nick Cave eine dunkle Punk-Blues-Variante predigte, dies aber mit einem weniger schillernden Aufmerksamkeit erzeugenden Stil. Bonney war ein selbstzweiflerischer, im traditionellen Blues verankerter Performer. Simple und plakative Gefühlsausbrüche waren nicht seine Sache, eher Authentizität: „Going back to my lyrics, I don’t think they are doomy at all. I never see things as ultimately hopeless, I see things potentially good“, (Simon Bonney, 1985). Gleichwohl vermitteln Songs wie „At the crossroads“ und „The dangling man“ eine Faszination für die morbiden Stimmungen, Mythen und Bilder des Blues-Deltas, in Anlehnung an Robert Johnsons „Crossroad blues“ oder einen Josh White, so wie Bonney in „Strange fruit“ über leblose Körper singt, die von Bäumen hängen. Der fast distanzierte und kühle Gitarreneinsatz von Howard und Mick Harvey (der ebenso nach dem Split der BIRTHDAY PARTY zur CRIME & THE CITY SOLUTION stieß) unterstützten dieses Bild, und der stoische Bass von Harry Howard, Rowlands Bruder, tat sein Übriges. Die ersten Konzerte standen nur zu deutlich unter dem Einfluss einer Erwartungshaltung, die an die großen THE BIRTHDAY PARTY angelehnt waren. Letztlich musste man das englische Konzertmanagement feuern, weil Flyer mit dem Verweis „Come and see the new BIRTHDAY PARTY!“ die Band nicht wirklich glücklich stimmen konnten.

Zu den uneingeschränkt großen Momenten von CRIME & THE CITY SOLUTION zählte das Album „Room Of Lights“ (1986), produziert von Flood und Tony Cohen (auch Produzent für THE BIRTHDAY PARTY). Das Artwork des Albums gibt optisch gleich die mentale Richtung vor, da es an eine expressive Entwurfsskizze eines Van Gogh-Gemäldes erinnert. Songs wie „Six bells chime“ öffneten sich einem Country-affinen Sound, wohl auch eine der unzähligen Parallelen zu THE GUN CLUB. Die Band veröffentlichte in den späten 80er Jahren zahlreiche Alben, auf denen sich Sänger Simon Bonney im Laufe der Zeit immer mehr zu einem reinen Erzähler, der sich mit seiner dunklen und grollenden Stimme (teilweise überlagernd im Studio aufgenommen) thematisch und auch in der Wahl der Songtitel („The bride ship“, „Free world“, „New world“) globalen Untergangsszenarien widmete. Die Musik wirkte zunehmend komplex und schwer zugänglich. CRIME & THE CITY SOLUTION lösten sich 1991 auf und gaben ihr letztes Konzert im CBGBs in New York.

Howard war kein Mann für eine feste Bandbeziehung. Ihn lockten stets neue Projekte und sein neues eigenes großes Projekt waren die THESE IMMORTAL SOULS („The name THESE IMMORTAL SOULS was chosen to suggest that exaggerated sense of self-importance. Because if you don’t celebrate yourself, nobody else will“, so Howard 1987 im Melody Maker). Hier spielten auch sein Bruder Harry Howard und Epic Soundtracks (der zuvor bei den SWELL MAPS war und als Schlagzeuger für CRIME & THE CITY SOLUTION mit „Rose blue“ einen ihrer eindringlichsten Songs überhaupt im Alleingang schrieb), der Bruder von Nikki Sudden, mit. Auch Nikki Sudden war zu dieser Zeit ein Partner In Crime: Howard gastierte auf Nikki Suddens Alben zwischen 1986 und 1988 (auf „Texas“ und „Dead Men Tell No Tales“), und schließlich nahmen sie unter beider Namen das Album „Kiss You Kidnapped Charabanc“ (1987) auf. Gerade bei den THESE IMMORTAL SOULS – exemplarisch bei einem ihrer besten Songs „Marry me (Lie!, lie!)“ vom Album „Get Lost (Don’t Lie)“ (1987) – wird der Unterschied zum literarischen und elaborierte Verse spuckenden Zeremonienmeister Nick Cave deutlich. Wo Cave in der Rolle aufging, die er darstellte (und das oft genug ohne den nötigen Humor), schwang bei Howard so etwas wie distinguierte Distanzierung mit. Er besaß den Tonfall dessen, der von der eigenen Verzweiflung gelangweilt, manchmal geradezu lakonisch belustigt erschien. Und mit dem geschickten dramaturgischen Gespür eines musikalischen Genies stellte er diesen Tonfall in einen Rahmen ständiger Klangeruptionen. THESE IMMORTAL SOULS hatten sogar etwas wie „Pop-Appeal“: irgendwo klimperte immer ein Piano, dort wirbelt das Schlagzeug und über allem die Desperado-Gitarre von Howard. Dessen Art, sich immer anderweitig zu engagieren, verzögerte die Entstehung des zweiten Albums („I’m Never Gonna Die Again“), es erschien erst im Jahr 1992. Da war die Erinnerung an das erste Album bereits verblasst, die Band schon fast Geschichte. Denn einige Jahre zuvor veröffentlichte Howard zusammen mit No-Wave-Ikone Lydia Lunch das wesentlich spannendere Album „Shotgun Wedding“. Ein Album, das bereits damals die heute beliebte und viel bemühte Synthese aus Burlesque, No Wave und Jacques Brel-Reminiszenzen vorwegnahm (der Song „So you heart“ ist zudem unter der Mitwirkung der Geistesverwandten Clint Ruin aka Foetus und Thorsten Moore entstanden). Die beiden hatten schon früher miteinander gearbeitet. So lieferte das Duo eine wundersam schrägschöne Version des Lee Hazlewood-Klassikers „Some velvet morning“ ab, eine Coverversion, an die sich nur Verblendete oder Könner wagen. Keine Frage, zu welcher Gruppe das Duo zählte. Sie coverten auch den LED ZEPPELIN-Song „In my time of dying“, dem Lydia Lunch eine derart todessehnsüchtige Erotik einhauchte, dass einem ganz anders wurde. Das Melancholisch-Düstere, die von schrillen Akkorden aufgebrochene Oberfläche, die verschleppten, manchmal trancehaft gesetzten Einwürfe, all das floss in die grandiose Kollaboration der beiden kongenialen Nachtschattengewächse mit ein. Lydia Lunchs zuweilen erotisch aufgeladener Ton der Verachtung perfektionierte die schroffen Klangflächen Howards. Für einen kurzen Moment waren Howard und Lunch so wie Jahre später Nick Cave und PJ Harvey das subkulturelle Traumpaar hagerer junger Männer in schwarzen Anzügen und spitzen Schuhen.

In den 90er Jahren wurde es still um Rowland S. Howard. Vereinzelt tauchte er mit Gastbeiträgen auf Alben befreundeter Musiker auf, unter anderem bei NICK CAVE & THE BAD SEEDS, wo er die Backing Vocals beim Album „Let Love In“ (1994) beisteuerte, und er arbeitete mit Ex-MAGAZINE- und Ex-THE BAD SEEDS-Mann Barry Adamson zusammen, sowie mit Epic Soundtracks und Spencer P. Jones. Erst im Jahr 2000 erschien wieder ein echtes eigenes Album von Howard mit dem Titel „Teenage Snuff Film“. Eine Sammlung von Songs, die klangen wie ein Bericht aus der Hölle. Howard inszeniert mit erschreckender Gnadenlosigkeit das Scheitern von Beziehungen, den Abschied jeglicher Illusionen. Im Opener zum Album, im Song „Dead radio“, spiegelt sich Howards desillusionierte Selbstreflexion: „You are bad for me like cigarettes, but I haven’t sucked enough of you yet“. Ein Album, das wie ein einziger, verstörender Blick in den Abgrund wirkt. Selten klang Nihilismus direkter, härter und befreiender. Sein schräger Humor kanalisierte sich in der Coverversion von „White wedding“ von Billy Idol. Das Album lebt von der Architektur von Howards Gitarrenspiel, dem zerrissenen Gegeneinander präzise auseinander laufender Akkordfolgen und abstrakten Noise-Texturen – das weinende Auge des Hurrikans. Eine Zeit, in der Bobby Gillespie von PRIMAL SCREAM über Howard sagte: „If I was a girl I’d fuck him!“

Dann war es erneut eine Weile sehr ruhig um ihn. Erst im Oktober 2009 erschien sein Album „Pop Crimes“, auf dem, wie auch beim Vorgängeralbum, Mick Harvey mitwirkte und dessen Cover eine Nahaufnahme von Howard zierte, die deutlich ahnen lässt, wie es um ihn gesundheitlich bestellt war. Das Album eröffnet mit einem Duett mit Jonnine Standish von HTRK (HATEROCK) beim Song „(I know a girl called) Jonny“, welches an seinen düster-erotischen Dialog mit Lydia Lunch in „Some velvet morning“ erinnert, wenn Howard in Lee Hazlewood-mäßiger Manier die Zeile „She’s my narcotic lollipop“ singt und Jonnine Standish (die Frau von Conrad Standish von den DEVASTATIONS) mit ihrem an Nico erinnernden lasziven Tonfall antwortet. „I put my fingers in his mouth“. Oder, wie es ein Kritiker anmerkte: „It is just ridiculously hot! They exchange lyrics of equal admiration. It’s not really a love song but a lust song.“ Für Howard ist der Song auch eine persönliche Reminiszenz an die 60er-Jahre-Legende THE SHANGRI-LAS, die er mal neben Phil Spector als zentralen Einfluss für THESE IMMORTAL SOULS benannte. Das Album glänzt mit zwei Coverversionen – eine davon durchaus so nicht unbedingt zu erwarten –, zum einen TALK TALKs „Life’s what you make it“ (was wieder Sinn macht, wenn man sich die Fragilität von Mark Hollis zu Zeiten seines Soloalbums von 1998 in Erinnerung ruft) mit einem schweren Bass versehen, wobei sich der durchaus positive Duktus des Originals bei Howard in ein fast bedrohlichen Moment des persönlichen Scheiterns dreht, und zum anderen ein Cover von „Nothin“, ein bitteres Lamento, im Original von Townes Van Zandt. Das Album „Pop Crimes“ wird Rowland S. Howard nur ein paar Monate überleben. Die Zeilen im Titelsong sind unheilvoll und prophetisch: „I guess that I won’t see you tomorrow, on this, our planet of perpetual sorrows.“ In einem seiner letzten Interviews in der australischen Zeitung The Age kommentierte Howard die Frage, was es ihm bedeuten würde, heute zu den einflussreichsten australischen Gitarristen zu zählen, dass es ihm nicht so sehr um den musikalischen Einfluss an sich geht, sondern mehr um die persönliche Authentizität eines Musikers („I think that the most important thing about music should be that it expresses some kind of humanity and it should express the personality of the person who is playing it“).

Nick Cave ließ bei der Beerdigung von Rowland S. Howard, da er nicht selbst erscheinen konnte, eine persönliche Note verlesen: „Every now and then comes along a person whose style informs your own style and for me Rowland was that person. The first time I saw him play, it was clear he was a phenomenal talent. We went our separate ways, but I have always loved Rowland – his talent, his great humour and his generous heart. He was a good friend and it was a privilege to have worked with him and to have been in his sphere of influence. I will miss him very much.“

Gegenwärtig wird in Australien an einer Dokumentation über das Leben von Rowland S. Howard gearbeitet.

- Markus Kolodziej